Arzt-Patienten-Kommunikation

Interkulturelle Kompetenz für den Umgang mit Patientinnen und Patienten anderer Kulturkreise

Arzt mit einem Patienten beim MRT

Die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit anderen kulturellen Wurzeln gehört längst zum Alltag vieler Ärztinnen und Ärzte, gerade in den Hausarztpraxen. Doch es kommt immer noch oft zu Missverständnissen oder ungewollten Kränkungen – aufgrund von Verständigungsschwierigkeiten, mangelnder Empathie und fehlendem Wissen über die jeweiligen kulturellen Besonderheiten. Das kann die Compliance gefährden oder sogar zu Fehldiagnosen und falschen Behandlungen führen. Doch interkulturelle Kommunikation lässt sich erlernen.

In der Praxis oder Klinik: Begegnung mit Menschen fremder Kulturkreise

Die Globalisierung verändert unseren Arbeitsalltag: Menschen unterschiedlicher kultureller Wurzeln stoßen aufeinander – und damit verschiedene Wertvorstellungen, Normen und Gepflogenheiten. Das erleben auch die Ärztinnen und Ärzte sowie medizinischen Angestellten in den Praxen und Kliniken in Deutschland. Da gibt es den türkischstämmigen Patienten, der sich nicht von einer Frau untersuchen lassen möchte, oder die Muslima, die sich weigert, während des Fastenmonats ihre Medikamente einzunehmen. Und auf den Krankenhausstationen sieht sich das medizinische Personal manchmal mit der gesamten Großfamilie am Bett des syrischen Patienten konfrontiert. Der Umgang mit solchen Situationen erfordert Empathie, Erfahrung und interkulturelle Kompetenz.

Sprachliche Barrieren erschweren die Kommunikation

Häufig sind es zunächst die sprachlichen Probleme, welche die Arzt-Patienten-Kommunikation erschweren, da gerade etwa ältere Menschen mit Migrationshintergrund oft wenig oder gar kein Deutsch bzw. Englisch sprechen. Umgekehrt beherrschen die meisten deutschen Ärztinnen und Ärzte weder Arabisch oder Türkisch noch Ukrainisch. Dabei ist es gerade im Gespräch zwischen Ärztin bzw. Arzt und Patientin bzw. Patient wichtig, dass beide Seiten einander verstehen. Das gilt vor allem im ambulanten Praxisalltag, denn bei gesundheitlichen Beschwerden sind die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte – allen voran die Hausarztpraxen – meist die erste Anlaufstelle für Patientinnen und Patienten mit anderen kulturellen Wurzeln. Hier gilt es, von Anfang an kulturelle oder sprachliche Barrieren abzubauen, um Missverständnissen bei der Diagnose oder bei der Einschätzung des Behandlungsbedarfs vorzubeugen. Eine verbesserte interkulturelle Kommunikation sorgt daher immer auch für eine höhere Versorgungsqualität im Gesundheitswesen.

Offenheit, Aufklärung und Toleranz

Seitens der Ärztinnen und Ärzte sowie des medizinischen Personals ist es zunächst wichtig, mögliche eigene Hemmschwellen gegenüber einer fremden Kultur abzubauen. Hier helfen Offenheit und Aufklärung, denn sie sorgen für gegenseitige Toleranz: So sollte man sich beispielsweise über die Gepflogenheiten und Sitten im Herkunftsland oder in der jeweiligen Religion der Patientin bzw. des Patienten informieren – und umgekehrt auch über Abweichungen hierzulande aufklären. Nur so lassen sich Hemmschwellen, Defizite und Barrieren abbauen.

Patientinnen und Patienten anderer Kulturkreise fühlen sich hier bei uns in Deutschland häufig falsch verstanden und benachteiligt. Gründe dafür sind unter anderem sprachliche Defizite, abweichende Regelungen im Herkunftsland oder auch mangelnde Kenntnisse beispielsweise über Vorsorgemaßnahmen und Hilfen in Deutschland. So ist es in einigen Kulturen nicht üblich, zu beschreiben, wo man Schmerzen hat: Man sagt nicht, dass man etwa Bauchschmerzen hat, sondern es wird erwartet, dass die Ärztin bzw. der Arzt eine Ganzkörperuntersuchung vornimmt. Viele Patientinnen und Patienten anderer Kulturkreise wissen beispielsweise auch nicht, welche Früherkennungsuntersuchungen in Deutschland angeboten werden oder wann sie ein Recht auf einen Pflegegrad haben.

Gesetzliche Verpflichtung zur sprachlich korrekten Übermittlung des Aufklärungsgesprächs

Gemäß § 630e Abs. 1 des „Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB)“ ist die Ärztin bzw. der Arzt verpflichtet, eine Patientin bzw. einen Patienten im Vorfeld der Behandlung umfassend über Art, Umfang und Risiken der Behandlung aufzuklären. Das persönlich zu führende Aufklärungsgespräch muss für die Patientin bzw. den Patienten verständlich sein. Eine erfolgreiche Kommunikation liegt also in der Verantwortung der Ärztinnen und Ärzte.

Fehlen auf Patientenseite die entsprechenden Sprachkenntnisse, lässt sich keine ordnungsgemäße Aufklärung gewährleisten. Dann obliegt es der Ärztin bzw. dem Arzt, eine geeignete Person zum Dolmetschen hinzuzuziehen: Allerdings muss es sich hierbei nicht um eine professionelle Dolmetscherin bzw. einen professionellen Dolmetscher handeln – ausreichend ist es, wenn auf sonstige Weise sichergestellt werden kann, dass die Patientin bzw. der Patient die Informationen verstanden hat. Sie könnten also zum Beispiel einen Angehörigen der Patientin, der besser Deutsch spricht, als Dolmetscher in das Gespräch miteinbeziehen. Eventuell beherrscht auch ein Mitglied Ihres Praxisteams oder ein Mitpatient die fremde Sprache und kann helfen.

Diese Option ist besonders wichtig, da die Übernahme der Kosten für die Einschaltung einer professionellen Dolmetscherin bzw. eines professionellen Dolmetschers seitens der Krankenkasse nicht einheitlich geregelt ist. Bei anerkannten Asylbewerberinnen und -bewerbern werden die Kosten besonders in der ersten Zeit häufig übernommen, bei anderen Personen mit ausländischen Wurzeln eher nicht. Auch gibt es unterschiedliche Regelungen für den ambulanten und den stationären Bereich. Antworten hierzu gibt es bei den kassenärztlichen Vereinigungen und bei Ihrem PVS Verband.

Mithilfe von Bildern, Gesten und Modellen kommunizieren

Sprechen Ärztin bzw. Arzt und Patientin bzw. Patient nicht dieselbe Sprache, kann man sich unter Umständen sogenannter „deiktischer Maßnahmen“ bedienen. Dies sind Methoden, welche auf der Anschauung basieren und mithilfe von Bildern, Gesten oder Modellen arbeiten. Man lässt die Patientin bzw. den Patienten also beispielsweise auf die schmerzende Stelle am Körper zeigen und die Beschwerden mimisch und gestisch „vormachen“ – und erläutert umgekehrt die zugrunde liegenden Zusammenhänge anhand eines Anatomieschemas oder Modells. Oder man verwendet sogenannte Bildwörterbücher. Auch bei Angaben zur Medikation oder Therapie ist es noch einigermaßen vorstellbar, sich gewissermaßen „mit Händen und Füßen“ zu verständigen.

Doch spätestens dann, wenn es um komplexere Krankheitsbilder geht, stoßen derartige Behelfsmethoden an ihre Grenzen und bergen immense Risiken dergestalt, dass Symptome unberücksichtigt bleiben, Medikationsanweisungen falsch verstanden werden oder schlichtweg falsch behandelt wird. Das Gleiche gilt für Übersetzungstools aus dem Internet oder Sprach-Apps: Im medizinischen Kontext helfen sie oft nur wenig oder können sogar zu noch mehr Missverständnissen führen, da sie nicht auf einen derart fachspezifischen Einsatz ausgerichtet sind.

Angesichts der Komplexität medizinscher Sachverhalte reichen die genannten Vorgehensweisen nicht aus, damit Sie als Medizinerin bzw. Mediziner auf der sicheren Seite sind, denn im Zweifel geht es hier auch um Haftungsfragen oder Schadensersatzansprüche. Dies gilt besonders etwa bei der Aufklärung vor einer Operation. Daher gibt es seit Jahren die Forderung nach einer generellen Übernahme der Kosten für professionelle Fachdolmetscherinnen und Fachdolmetscher seitens der Krankenkassen. Wünschenswert wäre auch ein zentrales Verzeichnis mit medizinischem Personal, aus dem hervorgeht, wer welche Fremdsprachen beherrscht und im Notfall hinzugezogen werden könnte. Denn wenn keine gemeinsame Sprache existiert, wenn man nicht richtig versteht, welche Beschwerden die Patientin oder der Patient hat, dann kann die Ärztin bzw. der Arzt im Grunde keine vernünftige Diagnose stellen und somit auch keine angemessene Behandlung gewährleisten.

Einstweilen bleibt als beste Möglichkeit zur Überwindung der Verständigungsprobleme das Hinzuziehen von Angehörigen, Personen aus dem eigenen Team oder Mitpatientinnen bzw. -patienten mit passenden Sprachkenntnissen, welche „greifbar“ und zum Übersetzen bereit sind und von beiden Kommunikationspartnern akzeptiert werden.

Kulturelle Differenzen: andere Werte und Haltungen

Neben den rein sprachlich bedingten Hürden stellen auch die kulturellen Differenzen Ärztinnen und Ärzte oft vor besondere Herausforderungen. Tatsächlich lauern hier viele mögliche Probleme: angefangen bei kleineren Irritationen oder Missverständnissen bis hin zu ungewollten Kränkungen. Erst wenn die Hintergründe des, für uns ungewohnten Verhaltens verstanden sind, lässt sich gut damit umgehen; in jedem Fall sollte man immer erst einmal tief durchatmen und das Ganze keinesfalls persönlich nehmen.

In Deutschland haben wir gelernt, uns im Miteinander auf Augenhöhe zu begegnen und in den Dialog zu gehen – ungeachtet der Position oder des Geschlechts. Viele andere Kulturkreise aber sind stark hierarchisch geprägt: Dort hat eine Ärztin oder ein Arzt ein anderes Standing als etwa eine Pflegehilfskraft. Oder der Mann hat eine, der Frau überlegene Rolle und repräsentiert die Familie nach außen. Über die, im Herkunftsland der Patientin oder des Patienten herrschenden Sitten sollten Sie als Ärztin bzw. Arzt Bescheid wissen, um im Patientenkontakt damit entsprechend umgehen zu können.

In manchen südlichen Ländern herrschen zum Beispiel andere Gepflogenheiten in Sachen Pünktlichkeit. Kommt ein ausländischer Patient dann ohne Schuldbewusstsein eine Stunde zu spät zum Termin in Ihre Praxis, ist Empathie gefragt – und Aufklärung darüber, dass in einer deutschen Arztpraxis die Termine in der Regel sehr eng getaktet sind und dass das Ganze nur funktionieren kann, wenn alle Patientinnen und Patienten pünktlich kommen.

Bauchschmerzen sind in der Türkei „seelische Beschwerden“

Auch ist der Umgang mit Krankheiten in anderen Ländern verschieden: So sprechen beispielsweise Menschen mit türkischem Hintergrund häufig von „Bauchschmerzen“, wenn sie eigentlich seelische Belastungen haben oder sie etwas bedrückt – ähnlich wie wir bei Liebeskummer von „Herzschmerz“ sprechen. Ein solches Missverständnis ließe sich zwar mithilfe weiterer Fragen nach den spezifischen Beschwerden (Sind diese im Oberbauch oder im Unterbauch? Ist der Schmerz eher ein Stechen oder ein Brennen?) schnell auflösen, doch in der Hektik des ärztlichen Alltags ist dafür oft nicht die Zeit. Da ist dann schnell die Überweisung zum Gastroenterologen ausgestellt, obwohl vielleicht eine andere Behandlung angebracht wäre. Hier sind ein sensibles, hellhöriges Vorgehen und differenziertes Nachfragen der behandelnden Ärztin bzw. des behandelnden Arztes gefragt.

Schamgefühl und körperliche Unversehrtheit im Islam

Patientinnen und Patienten aus islamischen Ländern haben ein anderes Verständnis von Schamgefühl und körperlicher Unversehrtheit. Im islamischen Glauben ist die körperliche Unversehrtheit ein hoher Wert; das Schamgefühl wiederum verlangt den Schutz des Körpers vor Blicken und vor dem Körperkontakt mit Fremden. Daher kann schon der Händedruck zur Begrüßung, der in unserer überwiegend christlich geprägten Welt ein Symbol der Offenheit und Freundlichkeit ist, bei streng muslimischen Patientinnen und Patienten als Verletzung der körperlichen Integrität gelten.

Das gilt erst recht für körperliche Untersuchungen: So wird es islamische männliche Patienten geben, die sich – gerade im Krankenhaus – nicht von einer Ärztin behandeln lassen wollen, sondern nach einem männlichen Kollegen fragen. Auch dies ist der kulturellen und religiösen Prägung geschuldet. Zwar erlaubt der Islam Ausnahmen im Krankheitsfall, dennoch sollten Musliminnen und Muslime grundsätzlich besser von medizinischen Personen des gleichen Geschlechts untersucht und behandelt werden, um unnötige Irritationen zu vermeiden. Ist dies nicht möglich, sollten Sie Verständnis für das Unbehagen des Patienten zeigen und ihn in sachlichem Ton über die anderen Verhältnisse in Deutschland aufklären – denn auch umgekehrt gilt, dass Aufklärung meist zu mehr Toleranz und Akzeptanz führt.

Weiterhin kann es vorkommen, dass gläubige Musliminnen und Muslime die Einnahme von Medikamenten während des Fastenmonats Ramadan verweigern oder Arzneien ablehnen, welche Mittel wie Schweineprodukte oder Alkohol enthalten, die nach islamischen Vorschriften verboten sind.

In anderen Ländern arbeiten Pflegekräfte nicht „am Bett“

Interessant für die Arbeit in Kliniken und Krankenhäusern ist auch die Tatsache, dass Pflegekräfte in vielen anderen Ländern keine direkte Arbeit am Patientenbett erledigen. Wenn ein ausländischer Patient also beobachtet, wie eine Pflegefachkraft den Zimmernachbarn wäscht oder ihm Essen anreicht und anschließend ihm selbst Medikamente geben will, kann es passieren, dass er sich weigert. Er wird sie für eine Hilfskraft halten und ihr keine fachliche Expertise zutrauen. Auch hier hilft: aufklären und geduldig erläutern, mit welchen Aufgaben Pflegefachkräfte in Deutschland betraut sind.

Religionsbedingte Unterschiede im Umgang mit Krankheit und Tod

Im islamischen Glauben werden eine schwere Erkrankung und die damit verbundenen Leiden oft als von Gott auferlegte Prüfung angesehen – oder als Strafe für begangene Sünden, was dann von der bzw. dem Betroffenen strenges Beten und Buße verlangt. Hier sollte man Respekt zeigen, aber auch deutlich machen, dass beten allein nicht ausreicht, dass es aber konkrete Therapieoptionen gibt.

Menschen muslimischen Glaubens haben andere Bräuche im Umgang mit Tod und Trauer und benötigen bestimmte religiöse Gegenstände für die Sterberituale, auch wenn sie schon lange in Deutschland leben. Häufig wird die Trauerphase sehr exzessiv und laut klagend erlebt, anders als bei uns, wo eher Schweigen und Stille als pietätvoll gelten. Ist eine Muslima oder ein Muslim verstorben, kann es auch vorkommen, dass die Angehörigen danach noch sehr oft zu der Ärztin bzw. zu dem Arzt kommen, der die Verstorbene oder den Verstorbenen zuletzt behandelt hat. Dann sollten Sie ihnen Ihr Beileid aussprechen.

Manchmal gibt es auch Unstimmigkeiten im Zusammenhang mit dem Thema Ramadan, dem Fastenmonat. Zwar ist im Islam vorgeschrieben, dass man unter anderem bei Krankheit, Altersschwäche, Schwangerschaft oder als Kind nicht fasten muss – doch streng religiöse Menschen fasten trotz Erkrankung dennoch und nehmen dann auch ihre Medikamente nicht. In diesem Fall sollte man in Ruhe erläutern, was passiert, wenn das Medikament nicht eingenommen wird. Ist die Patientin bzw. der Patient mit den Risiken einverstanden, geschieht dies auf eigene Verantwortung.

Auf der anderen Seite lässt sich aber auch gut auf den Koran verweisen, denn darin heißt es, dass die Wiederherstellung der Gesundheit absolute Priorität hat und dass man alles zu tun habe, um der oder dem Kranken zu helfen. Auf dieser Basis lässt sich dann gut argumentieren, dass weibliche und männliche Ärzte und Pflegekräfte diesem Zweck dienen, indem sie ihre Arbeit machen.

Im Grunde gehört zu einem guten interkulturellen Arzt-Patienten-Dialog auch, die jeweiligen Feiertage der anderen Kulturkreise zu kennen – und etwa einer muslimischen Patientin alles Gute zum Ramadanfest zu wünschen, genauso wie sie Ihnen frohe Weihnachten wünscht. Das sogenannte „Zuckerfest“ hat für Musliminnen und Muslime nämlich die gleiche hohe Bedeutung wie Weihnachten für gläubige Christen. In anderen Religionen gibt es ähnliche Feiertage; diese lassen sich einem interkulturellen Kalender entnehmen.

Hoher Stellenwert der Familie

Es gibt Kulturkreise, in denen die Gesellschaft sehr stark kollektivistisch geprägt ist und in denen der Zusammenhalt innerhalb der Familie eine weit größere Bedeutung hat als bei uns. Das gilt dann allerdings nicht nur für Mutter, Vater und Kinder, sondern auch für die Großeltern, Tanten oder Cousinen und Cousins dritten Grades. So ist dann im Krankheitsfall manchmal eine ganze Schar Angehöriger im Krankenhauszimmer versammelt. Sie bringen Essen mit, unterhalten sich und wachen am Bett der oder des kranken Verwandten.

Für die Bettnachbarn und das medizinische Personal auf der Station ist das oft sehr belastend, denn nicht selten verstopft die Großfamilie so auch Türen oder Gänge. Aber auch hier kann das Wissen um die kulturell bedingten Unterschiede das gegenseitige Verständnis fördern und dabei helfen, die Situation zu entspannen. So könnte man beispielsweise um Rücksichtnahme auf die anderen Kranken im Zimmer bitten oder die Familie stundenweise nach draußen schicken. Oder aber man versucht von vornherein, Patientinnen und Patienten gleicher Herkunftsländer zusammenlegen.

Auch wenn in der Hektik des Praxis- oder Klinikalltags für vieles die Zeit fehlen dürfte – oft hilft schon ein genaues Beobachten und aktives Zuhören im Umgang mit Patientinnen und Patienten anderer Kulturkreise: Kommt beispielsweise eine aus Syrien oder dem Irak stammende Familie in Ihre Praxis, sollten Sie das Verhalten der einzelnen Familienmitglieder und den Umgang untereinander beobachten. Wer spricht zuerst? Wie ist die Körperhaltung der Eltern zueinander? Meist sind es zwar die Männer, welche die Familie nach außen repräsentieren, aber innerhalb des Verbunds haben gerade in syrischen Familien oft die Frauen das Sagen. Da ist es dann unter Umständen ratsam, vorrangig die Mutter der Patientin bzw. des Patienten anzusprechen – und auch verstärkt ihr zuzuhören, neben der oder dem Kranken selbst natürlich. Insgesamt sollten Sie das Gesehene „bedienen“ und sich responsiv verhalten, also die bestehenden Strukturen innerhalb der Familie akzeptieren und nutzen.

Interkulturelle Kompetenz heutzutage Schlüsselqualifikation

Um Probleme interkultureller Art in der Arzt-Patienten-Kommunikation möglichst effektiv auszuschalten, ist es am besten, sich darüber zu informieren, welche Traditionen und Gepflogenheiten in den jeweiligen Kulturen herrschen. Denn wenn Sie wissen, auf welche Details im Umgang mit Menschen anderer Kulturkreise zu achten ist, lassen sich viele Missverständnisse oder Konflikte verhindern.

Aber auch das Schulen und Trainieren der eigenen Kommunikationsfähigkeiten ist wichtig, um den Dialog und das vertrauensvolle Verhältnis mit der Patientin bzw. dem Patienten zu verbessern. Glücklicherweise lässt sich interkulturelle Kompetenz erlernen und trainieren; das Angebot entsprechender Seminare, Kurse und Schulungen zu diesem Themenfeld wird immer breiter. Denn Fähigkeiten auf diesem Gebiet gelten inzwischen als Schlüsselqualifikation, um der wachsenden Vielfalt in unserem Land Rechnung zu tragen – dies gilt nicht nur, aber insbesondere im Gesundheitswesen.

Schulungen und Trainings für interkulturelle Kommunikation

Aus diesem Grund gibt es mittlerweile Kommunikationsexpertinnen und -experten, die sich auf die Vermittlung interkultureller Kompetenz spezialisiert haben, sogenannte „interkulturelle Trainerinnen und Trainer“. Diese empfehlen, grundsätzlich erst einmal die „eigene kulturelle Brille“ zu erkennen, also sich des eigenen, einseitig geprägten Blickwinkels bewusst zu werden. Des Weiteren sollte man im Interesse einer kultursensiblen Kommunikation offen für Neues sein und versuchen, sich in die fremde Kultur hineinzuversetzen – nur so lassen sich Brücken bauen.

Während es bei solchen Trainings früher vorrangig darum ging, die Beschäftigten in den Integrationsbehörden im Umgang mit Geflohenen aus anderen Ländern zu schulen, hat sich der Kreis der Interessentinnen und Interessenten für interkulturelle Kommunikationstrainings inzwischen deutlich erweitert: Sicherheitskräfte erhalten Tipps für eine gute Zusammenarbeit mit ausländischen Kolleginnen und Kollegen, Managerinnen und Manager werden auf die Führung multikultureller Teams vorbereitet – und immer häufiger erlernen auch Ärztinnen und Ärzten sowie medizinische Fachkräfte im Rahmen derartiger Seminare, worauf sie im Umgang mit Patientinnen und Patienten anderer Kulturkreise achten sollen.

Neben allen Trainings und Schulungen wird grundsätzlich zu einem entspannten und natürlichen Umgang mit den Patientinnen und Patienten geraten – und dazu, das Ganze nicht allzu verkopft anzugehen. Am Ende gelten in der Arzt-Patienten-Kommunikation mit Menschen anderer Kulturkreise die gleichen Regeln wie im Umgang mit Deutschstämmigen: empathisch sein, gut zuhören, Verständnis zeigen und freundlich sein.

Modellprojekt „InterKultKom“ der KV Nordrhein

Bereits im Jahr 2017 hatte sich die KV Nordrhein dem Thema gewidmet und – gemeinsam mit Partnern wie der Ärztekammer Nordrhein und dem „Institut für Qualität im Gesundheitswesen Nordrhein (IQN)“ – ein Fortbildungskonzept zur Förderung interkultureller Kommunikation und Handlungskompetenz im Gesundheitswesen entwickelt. Das Modellprojekt mit dem Titel „InterKultKom“ verfolgte unter anderem das Ziel, zu eruieren, welche Lehrinhalte Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte brauchen, um für den interkulturellen Dialog ausreichend vorbereitet zu sein.

Entwickelt wurde ein Schulungsmodell, das insgesamt fünf Module umfasste: Haltung, Kommunikation, Familie und Gender, Krankheitsverständnis sowie Gewalt, Schmerz, Tod und Trauer. Die Lehrinhalte wurden als mehrmonatige Probe-Schulungsreihe im Zeitraum Oktober 2017 bis August 2019 im Rhein-Maas-Klinikum in Würselen umgesetzt. Auf diese Weise wurden etliche Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte in kultursensibler Versorgung geschult und für den Umgang mit Patientinnen und Patienten sowie Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Kulturen sensibilisiert.

Die Erfahrungen aus dem Projekt haben gezeigt, dass die Reflektion der eigenen Haltung und der Einblick in unterschiedliche Kulturen und Lebenskonzepte für ein neues Verständnis im Umgang mit anderen Kulturen sorgt. Auch die Sensibilität war gewachsen. Mit Erstaunen wurden auch die vielen Gemeinsamkeiten und Parallelen in den unterschiedlichen Kulturen wahrgenommen. Das Projekt hat eindringlich gezeigt, dass von interkultureller Kompetenz und entsprechenden Fortbildungen sowohl die Patientinnen und Patienten, aber eben auch die behandelnden Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegkräfte am Ende nur profitieren können.

Modellprojekt „Essener Modell“ (EI-AP-K): Schulung von Ärztinnen und Ärzten mit Migrationshintergrund

Ein weiteres Projektbeispiel aus Nordrhein-Westfalen zeigt, dass im Themenfeld Arzt-Patienten-Kommunikation aber auch der umgekehrte Fall betrachtet wird – wenn nicht die Patientinnen bzw. Patienten einem anderen Kulturkreis entstammen, sondern die Ärztinnen und Ärzte selbst. Denn angesichts des zunehmenden Mangels an ärztlichen und pflegerischen Kräften sind immer mehr Fachkräfte mit Migrationsgeschichte in deutschen Kliniken und Praxen beschäftigt. Auch dann muss Kommunikationsproblemen vorgebeugt werden, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

Das Modellprojekt „Empathisch-interkulturelle Arzt-Patienten-Kommunikation (EI-AP-K)“ wurde von dem Universitätsklinikum Essen gemeinsam mit dem akademischen Lehrkrankenhaus „Stiftung Bethanien Moers“ und dem Alfred-Krupp-Krankenhaus in Essen entwickelt und vom „Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW“ gefördert. Das Ziel lautete, Ärztinnen und Ärzte mit Migrationshintergrund dabei zu unterstützen, am Arbeitsplatz sicher mit Patientinnen und Patienten zu kommunizieren und kulturelle Besonderheiten zu erkennen. So wurde eine berufsbegleitende, einjährige sprachliche Qualifizierung für Ärztinnen und Ärzte mit Migrationsgeschichte entwickelt. Dazu gehörten ein wöchentliches Sprach- und Kommunikationstraining, Simulationen und persönliche Beobachtungen des klinischen Alltags im aktiven Berufsumfeld – mit dem Ziel, dass die Teilnehmenden ein C1‑Sprachniveau erreichen.

Unter dem Begriff „Essener Modell“ wurde das Modellprojekt Im Zeitraum zwischen 2014 und 2019 am Standort der Universitätsmedizin Essen realisiert. Die Ärztekammer Nordrhein, die Ärztekammer Westfalen-Lippe, die Universität Duisburg-Essen und zwei regionale Krankenhäuser begleiteten das Projekt durch eine Reihe von Fachtagungen.

Zum Abschluss wurde ein Mustercurriculum für die Qualifizierung sogenannter „Multiplikatorenteams“ entwickelt. Auf dessen Basis werden in Nordrhein-Westfalen bereits seit dem Jahr 2020 Dozententeams, bestehend aus Ärztin bzw. Arzt und Sprachtrainerin bzw. ‑trainer, als Multiplikatoren qualifiziert, um das „Essener Modell“ anschließend am jeweiligen Klinikstandort umzusetzen. Sie werden damit Ärztinnen und Ärzte mit Migrationsgeschichte vor Ort an ihrem Arbeitsplatz unterstützen, damit diese sicher mit Patientinnen und Patienten sowie der Belegschaft kommunizieren können. Empathie und interkulturelle Besonderheiten sind feste Bestandteile des Mustercurriculums.