Der Praxiskauf

Reiner Zulassungskauf oder „Kauf der Praxis im Ganzen“

Immer häufiger kommt es bei einer Praxisaufgabe nicht zur Übergabe an eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger und damit zum Erhalt der Praxis, sondern zu einem bloßen Zulassungskauf bzw.  verkauf. Dabei wird lediglich der reine Vertragsarztsitz übertragen, nicht aber die Praxis als solche mit Inventar und Patientenkartei. Meist sind es große MVZ oder BAG, welche die Lizenz für ihre Angestellten erwerben. Diese Entwicklung ist in mehrfacher Hinsicht problematisch.

Regelfall Praxisnachfolge und Übertragung des Vertragsarztsitzes

Wenn eine Ärztin oder ein Arzt, beispielsweise aus Altersgründen oder wegen Umzugs ins Ausland, die eigene Praxis aufgibt, werden dadurch nicht nur Praxisräume frei, sondern auch der sogenannte „Vertragsarztsitz“. Im Idealfall übernimmt dann eine Nachfolgerin bzw. ein Nachfolger nicht nur die Praxis selbst (inklusive des Inventars und des Patientenstamms), sondern eben auch den Vertragsarztsitz, das heißt: die entsprechende Zulassung bzw. Lizenz zur vertragsärztlichen Tätigkeit am Standort. Doch ein Vertragsarztsitz lässt sich nicht so einfach privat verkaufen und übergeben, er muss zunächst öffentlich ausgeschrieben werden. Daraufhin können sich dann interessierte Kandidatinnen bzw. Kandidaten um diese Lizenz bewerben. Im Regelfall wird ein weitgehend automatisiert ablaufender Prozess zur Neuvergabe der Zulassung in Gang gesetzt: das öffentliche Nachbesetzungsverfahren. Zuständig für die Abwicklung des gesamten Procederes sind die entsprechenden Zulassungsstellen der „Kassenärztlichen Vereinigungen (KV)“.

Gibt es eine geeignete Person, welche die Praxis übernehmen möchte und auch die entsprechende Zulassung beantragt, wird es in der Regel keine Einwände seitens der Zulassungsbehörde geben. Dann erfolgt mit dem Praxiskauf auch die Übertragung der vertragsärztlichen Zulassung an die Nachfolgerin bzw. den Nachfolger. Damit bleibt die Versorgung der Patientinnen und Patienten am Standort erhalten, es hat sich also im Idealfall lediglich die Person der Ärztin bzw. des Arztes geändert, welche die Praxis fortführt. Dieser Ablauf war in den letzten Jahrzehnten der Regelfall.

Mangelnde Bereitschaft zur Übernahme

Doch leider führt die Ausschreibung eines Vertragsarztsitzes immer häufiger nicht zu der gewünschten persönlichen Übernahme und Fortführung der Praxis. Oft wird bei Aufgabe einer Arztpraxis in unattraktiver Lage keine adäquate Person für die Nachfolge gefunden – es bewirbt sich einfach niemand, der bereit wäre, die Praxis als solche zu übernehmen und weiterzuführen. Insbesondere in ländlichen Bereichen und an wenig attraktiven städtischen Standorten gibt es immer seltener Ärztinnen oder Ärzte, die bereit sind, das finanzielle Risiko der Selbstständigkeit einzugehen und eine Praxis zu übernehmen. Aufgrund dieser Entwicklungen kommt es mittlerweile immer häufiger zu der Situation, dass ein Vertragsarztsitz ausgeschrieben ist, ohne dass sich eine willige Praxisnachfolgerin bzw. ein williger Praxisnachfolger meldet.

Reiner Lizenzkauf statt Übernahme der „Praxis im Ganzen“

Stattdessen melden in diesen Fällen häufig größere „Medizinische Versorgungszentren (MVZ)“ oder in der Nähe existierende „Berufsausübungsgemeinschaften (BAG)“ ihr Interesse an dem frei gewordenen Vertragsarztsitz an. Allerdings haben sie meist nur die Absicht, den reinen Arztsitz zu erwerben: Dieser wird dann an ihren bestehenden Sitz verlegt und dort intern mit einer angestellten Ärztin oder einem angestellten Arzt der Einrichtung besetzt. An einer Übernahme und Weiterführung der Praxis mit Inventar und (möglicherweise noch handschriftlich geführter) Patientenkartei besteht in der Regel kein Interesse. Dabei handelt es sich dann um einen reinen Zulassungskauf – und nicht um den Erwerb einer „Praxis im Ganzen“. Leider sind die Zulassungsausschüsse häufig gezwungen, diesem zuzustimmen. Denn was tun, wenn sich keine konkret nachfolgewillige Bewerberin bzw. kein konkret nachfolgewilliger Bewerber für die Übernahme der Praxis findet? Wenn die beteiligten Parteien (Verkäufer/-in der Praxis und z. B. ein MVZ) angeben, sich „handelseinig“ zu sein, dann wird die Zulassung beispielsweise an eine angestellte Fachärztin der großen Einrichtung übertragen.

Zunehmende Konzentration in MVZ und BAG

Diese, seit einigen Jahren zu beobachtende Entwicklung ist in mehrfacher Hinsicht problematisch: Zum einen führt diese Art der Zulassungsübertragung zu einem Wegfall der einst niedergelassenen Einzelpraxis – mit entsprechenden negativen Konsequenzen für die ehemaligen Patientinnen und Patienten sowie die Gesundheitsversorgung am Standort. Des Weiteren führt dieser Trend inzwischen zu einer zunehmenden Konzentration von Medizinerinnen und Medizinern in den größeren Einrichtungen wie MVZ oder BAG, die ihren Sitz meist in zentralen Lagen lokaler Unterzentren oder Stadtbezirke haben.

Diese Entwicklung wurde unter anderem durch die Etablierung von Berufsausübungsgemeinschaften (ehemals: Gemeinschaftspraxen), in denen sich mehrere Ärztinnen bzw. Ärzte zusammentun, und die Einführung von Medizinischen Versorgungszentren gefördert. Zusätzlich befeuert wurde der Trend durch die gesetzliche Anerkennung angestellter Vertragsärztinnen bzw. -ärzte. Dadurch werden nun oft mehrere Vertragsarztsitze an nur einem Standort gebündelt. In der Folge trägt heute die Zulassungsübertragung oft nicht zum Erhalt der, vom Gesetzgeber gewünschten flächendeckenden Versorgung mit Arztpraxen im gesamten Land bei. Dennoch finden diese reinen Lizenzkäufe immer häufiger statt.

Kein Umsatzsteuerprivileg beim (reinen) Zulassungskauf

Schwierig ist diese Entwicklung aber auch in steuerlicher Hinsicht: Eine Geschäftsveräußerung wie der Verkauf einer Praxis unterliegt nicht der Umsatzsteuer, dieser Vorgang ist „umsatzsteuerprivilegiert“. Das heißt, auf den erzielten Verkaufserlös muss die abgebende Ärztin bzw. der abgebende Arzt keine Umsatzsteuer zahlen. Dies gilt aber nur, wenn es sich um einen echten Praxisverkauf mit Inventar, Patientenstamm etc. handelt; juristisch spricht man von einer umsatzsteuerprivilegierten „Geschäftsveräußerung im Ganzen“ bzw. von einem „Verkauf der Praxis im Ganzen“. Demgegenüber sind reine Lizenzkäufe umsatzsteuerpflichtig, sie unterliegen dem üblichen Regelsatz bei der Umsatzsteuer in Höhe von 19 Prozent. Diesen Umsatzsteuerbetrag müsste die Verkäuferin bzw. der Verkäufer abführen, und zwar ungeachtet dessen, ob die Umsatzsteuer im Kaufvertrag separat ausgewiesen wurde oder nicht. Die oben beschriebenen, im Grunde reinen Lizenzkäufe durch die MVZ oder BAG unterliegen also eigentlich der Umsatzsteuerpflicht.

Aus Sicht mancher Juristinnen bzw. Juristen stellt dies allerdings eine problematische Ungleichbehandlung des Verkaufs materieller und immaterieller Wirtschaftsgüter dar: So ist nämlich, genau wie der Verkauf der Praxis im Ganzen, auch der Einzelverkauf von Gegenständen umsatzsteuerlich privilegiert. Würde also ein Arzt, der seine Praxis aufgeben möchte, nach und nach das Praxisinventar (z. B. ein Ultraschallgerät oder einen Behandlungsstuhl) verkaufen, dann wären diese Verkäufe umsatzsteuerfrei (es sei denn, beide Gegenstände wurden nur für umsatzsteuerpflichtige Behandlungen verwendet). Der Einzelverkauf des immateriellen Wirtschaftsgutes „Zulassung“ hingegen ist umsatzsteuerpflichtig.

Reine Lizenzkäufe finden statt

Theoretisch gibt es keinen Verkauf bzw. Kauf einer vertragsärztlichen Zulassung. Schließlich darf die Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit eben nicht von der Ärztin bzw. dem Arzt einfach an eine Nachfolgerin bzw. einen Nachfolger verkauft werden, schon gar nicht isoliert als reine Lizenz ohne Verkauf der „Praxis im Ganzen“. Die Zulassung wird immer im Rahmen des öffentlichen KV-Procederes neu vergeben und an eine Person zur Weiterführung der Praxis übertragen.

Dennoch finden reine Zulassungskäufe in der Realität tagtäglich statt: Da ist zum einen der Sonderfall der Veräußerung einer Psychotherapiepraxis. Hier entscheiden die Zulassungsausschüsse regelmäßig, dass der Vertragsarztsitz auch ohne Inventar und Übertragung des Patientenstamms veräußert werden darf. Dies ist allerdings den besonderen Umständen der psychotherapeutischen Leistungserbringung geschuldet, die meist kein besonderes medizinisches oder technisches Inventar erfordert. Doch auch bei der Aufgabe allgemein- und fachmedizinischer Praxen kommt es immer häufiger dazu, dass nur der Vertragsarztsitz veräußert wird, weil an der Übernahme und Weiterführung der Praxis zu wenig oder kein Interesse besteht.

Keine Abschreibung für isolierten Zulassungskauf

Ein weiteres steuerliches Privileg, das zu Unrecht wahrgenommen werden könnte, ist die Abschreibung (Absetzung für Abnutzung, kurz: AfA): Liegt ein sogenannter „Praxiskauf im Ganzen“ vor, bei dem auch Inventar und Patientenkartei erworben werden, kann die Käuferin bzw. der Käufer diese Aufwendungen abschreiben. Bei einem „klassischen“ Erwerb einer Praxis handelt es sich steuerrechtlich um den Erwerb eines „abnutzbaren Wirtschaftsguts“; Aufwendungen hierfür lassen sich im Laufe der Jahre abschreiben. Dies gilt allerdings nur, wenn auch tatsächlich Inventargegenstände erworben wurden und jedenfalls ein Teil der Patientenkartei.

Geht das Finanzamt jedoch davon aus, dass es sich um einen reinen Lizenzkauf handelt, dann droht nicht nur die Umsatzsteuerpflicht – auch eine Abschreibung ist dann nicht möglich. Hier greift eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs aus dem Jahr 2017 (Az. VIII R 56/14 vom 21.02.2017): Demnach erschöpft sich der Wert einer unbefristet erteilten Vertragsarztzulassung nicht in einer bestimmten bzw. bestimmbaren Zeit, er stellt daher kein „abnutzbares immaterielles Wirtschaftsgut“ dar und kann demnach nicht abgeschrieben werden.

Wenn also ein MVZ oder eine BAG nur die vertragsärztliche Zulassung erwirbt bzw. die Zulassungsübertragung anstrebt, kann dies weitreichende steuerrechtliche Konsequenzen haben: Die Umsatzsteuerprivilegierung dürfte nicht greifen und auch die Abschreibung des Kaufbetrags wäre bei einem reinen Zulassungskauf nicht angebracht. In diesen Fällen ist daher eine fachlich kompetente steuerliche und medizinrechtliche Beratung dringend angeraten.

Ausblick: MVZ-Gründung statt Nachfolgersuche – ein Modell für die Zukunft?

Medizinische Versorgungszentren erfreuen sich seit einigen Jahren wachsender Beliebtheit. Ein MVZ eröffnet zwar viele Möglichkeiten, die klassische Einzelarztpraxis und kleinere Berufsausübungsgemeinschaften dürften allerdings wenig Nutzen daraus ziehen. Auch stehen viele der großen MVZ wirtschaftlich keineswegs gut da. Allein die Sorge, seinen Sitz möglicherweise nicht übertragen zu können, sollte daher niemanden dazu veranlassen, ein MVZ zu gründen. Dieses Modell kann eine Lösung sein, ist aber nicht das Maß aller Dinge. Letztlich wird es auch künftig eine große Anzahl niedergelassener Einzelpraxen geben müssen, um eine flächendeckende Gesundheitsversorgung in der Breite zu gewährleisten.

Reiner Zulassungskauf oder Kauf der „Praxis im Ganzen“ – darauf kommt es an:

  • Werden auch Inventar und Patientenkartei erworben, liegt ein „Praxiskauf im Ganzen“ vor – der Kauf ist umsatzsteuerfrei und die Aufwendungen können abgeschrieben werden.
  • Geht das Finanzamt beim Zulassungskauf davon aus, dass es sich um einen schlichten Lizenzkauf handelt, droht Umsatzsteuerpflicht und eine Abschreibung ist dann nicht möglich.