Da sich medizinische Fachangestellte heute nicht so einfach ersetzen lassen, gilt die Bindung der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als eine der größten Herausforderungen. Doch wie gelingt es, die guten Kräfte im Team zu halten und dauerhaft an die eigene Praxis oder Klinik zu binden? Neben attraktiven Konditionen gelten Wertschätzung und Anerkennung als zentrale Faktoren für eine hohe Mitarbeiterzufriedenheit.
Medizinische und zahnmedizinische Fachangestellte sind „Engpassberufe“
Eigentlich erfreut sich der Beruf der „Medizinischen Fachangestellten (MFA)“ großer Beliebtheit: Bei den Berufswünschen junger Frauen in Deutschland rangiert er auf Platz eins unter den am meisten nachgefragten Ausbildungsberufen. Auch das Berufsziel „Zahnmedizinische Angestellte (ZFA)“ ist beliebt und liegt auf Platz fünf. Das ist das Ergebnis eines Berichts der „Statistik der Bundesagentur für Arbeit“ zum Arbeitsmarkt und zur Situation am Ausbildungsmarkt von Oktober 2023. So starten jedes Jahr ca. 12.000 bis 15.000 vorwiegend weibliche Jugendliche die dreijährige Ausbildung zur MFA.
Doch das reicht nicht: Denn nicht nur viele Ausbildungsstellen bleiben unbesetzt, auch die Zahl der offenen Stellen für ausgebildete Fachkräfte übersteigt mittlerweile die der potenziellen Bewerberinnen und Bewerber. Sowohl der Beruf der medizinischen Fachangestellten als auch jener der zahnmedizinischen Fachangestellten gelten laut der im November 2023 vorgestellten „Engpassanalyse“ der Bundesagentur für Arbeit als Engpassberufe, das heißt es gibt einen Engpass bei den verfügbaren Fachkräften auf dem Markt.
Hauptgründe für diese, sich bereits seit Jahren abzeichnende Entwicklung sind die demografische Entwicklung und der steigende Arbeitskräftebedarf, aber auch die hohe Arbeitsbelastung bei gleichzeitig geringer Anerkennung der Berufe. Immer mehr medizinische Fachangestellte, insbesondere in den Praxen der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, verlassen ihren Beruf (wieder), und suchen sich in anderen Bereichen eine neue Herausforderung mit weniger Stress, mehr Gehalt und höherem Ansehen.
„Stress-Studie“ zeigt Ursachen für hohe Arbeitsbelastung
In einer „Stress-Studie“ der Universität Düsseldorf zu den psychosozialen Arbeitsbedingungen und der Gesundheit von „Medizinischen Fachangestellten (MFA)“ aus dem Jahr 2017 wurden folgende Hauptaspekte als Ursache für die hohe Arbeitsbelastung und den Stress im Job benannt: Zeitdruck, Multitasking, ein zu geringes Gehalt, wenig Karriereaussichten und keine öffentliche Wertschätzung. Insbesondere in einer Arztpraxis ist der Arbeitsstress im Verhältnis zur „Belohnung“ oft besonders hoch ist.
Insgesamt sei das Stresslevel unter den MFA außerordentlich hoch, da die Anstrengungen für die Arbeit höher sind als die tatsächlichen und wahrgenommenen Belohnungen, lautet das Fazit der Düsseldorfer Forscher. Es hat sich gezeigt, dass die medizinischem Fachangestellten unter großem Zeitdruck stehen, vor allem bei hohen Patientenaufkommen. Sie sehen sich auch sehr häufig mit Unterbrechungen konfrontiert, die teilweise unerwartet auftreten, wie z. B. Unterbrechungen durch Anliegen der Ärztin bzw. des Arztes, durch vermeintliche oder echte Notfallpatientinnen bzw. -patienten, durch Technikprobleme oder fehlende Materialien. Zwischenmenschliche Probleme im Team, vor allem mit der oder dem Vorgesetzten, wurden auch häufig berichtet.
Zu wenig „Belohnung“ der geleisteten Arbeit
Ein weiteres Problem besteht darin, dass viele der „Belohnungen“ eingeschränkt sind. Als „Belohnung“ gelten neben dem Gehalt auch Aspekte wie Anerkennung, Aufstiegsmöglichkeiten oder Arbeitsplatzsicherheit. Um diese Belohnungen ist es laut den Ergebnissen der Studie schlecht bestellt: Das Gehalt ist in der Regel gering und das ist aus Sicht der Fachangestellten ein ganz zentrales Problem. Viele von ihnen können mit ihrem Gehalt nicht unabhängig vom Partner bzw. von der Partnerin oder den Eltern leben. Auch die Aufstiegsmöglichkeiten sind in einer Arztpraxis begrenzt. Wenn dann noch wenig Anerkennung durch Vorgesetzte oder Kolleginnen und Kollegen hinzukommt, bieten sich den MFA wenig Belohnungen bei ihrer Berufstätigkeit. Außerdem wurde sogar recht häufig betont, dass sich viele von ihrem Umfeld bzw. der Gesellschaft oftmals nicht genügend wertgeschätzt fühlen. Das, was sie täglich leisten, wird von Außenstehenden nicht ausreichend wahrgenommen und gewürdigt.
Zudem herrschen in ambulanten Praxen, die ja meist Kleinbetriebe sind, andere arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen als im stationären Bereich, z. B. bezogen auf den Kündigungsschutz oder den Betriebsrat. Dadurch sind medizinische Fachangestellte im niedergelassenen Bereich besonders darauf angewiesen, dass die Ärztin bzw. der Arzt als Arbeitgeber(in) in puncto Gehalt sowie weiterer Konditionen attraktive Angebote und Rahmenbedingungen bieten will und kann.
Gründe für den Fachkräftemangel, insbesondere in Arztpraxen:
- Zu viel Stress
- Hoher Zeitdruck
- Zu viel Multitasking und Unterbrechungen bei der Arbeit
- Zu geringes Gehalt
- Zu geringe Karriereaussichten
- Mangelnde öffentliche Wertschätzung
- Schlechtere arbeitsrechtliche Bedingungen
Als besonders positiv an der Tätigkeit als medizinische Fachangestellte wird allerdings der Kontakt mit den Patientinnen und Patienten erlebt, insbesondere wenn mit diesen durch die jahrelange Begleitung ein vertrauensvolles Verhältnis besteht.
Wertschätzung und individuelle Belange beachten
Wenn es nun darum geht, der möglicherweise nachlassenden Motivation, steigenden Unzufriedenheit, inneren Kündigung oder gar Abwanderung einer Ihrer Angestellten vorzubeugen, muss man sich also in erster Linie die genannten Problemfelder anschauen und hier gegensteuern. So sollten die Gründe für die belastende Arbeitssituation der medizinischen Fachangestellten für Sie als Praxisinhaberin bzw. inhaber gleichsam Ansatzpunkte sein, um die dringend benötigten Fachkräfte zu akquirieren und gutes Personal langfristig an die Praxis zu binden.
Lob und Anerkennung von Ihnen als Chefin bzw. Chef sind ein zentrales Instrument. Denn motivierte, gut aus- und weitergebildete medizinische und zahnmedizinische Fachangestellte (MFA, ZFA) sind einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren einer Praxis oder Klinik. Mit dieser hohen Bedeutung sollten sie auch wahrgenommen und wertgeschätzt werden.
Zudem sollten Personalplanerinnen und planer in der niedergelassenen Praxis oder im Krankenhaus auf die individuellen Bedürfnisse ihrer Angestellten achten: Hier geht es unter anderem darum, dass die persönliche Balance (Work-Life-Balance) stimmt und dass sich die Tätigkeit in der Praxis mit dem Familien- und Privatleben in Einklang bringen lässt. Nur so sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Lage, ihre Fähigkeiten und ihr Know-how vollumfänglich einzubringen. Diese Aspekte sollten auch in den regelmäßigen Teambesprechungen thematisiert werden, um entsprechende Lösungen gemeinsam zu erarbeiten.
Hohe Mitarbeiterzufriedenheit ist entscheidend
Um gutes Personal an die eigene Praxis oder Klinik zu binden, ist eine hohe Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wichtig. Dies gelingt über Mehrwertangebote: zunächst einmal muss die finanzielle Seite, also das Gehalt, stimmen. Dies kann dann ergänzt werden durch Angebote zur betrieblichen Altersvorsorge und Maßnahmen zur Gesundheitsförderung sowie beispielsweise durch Fahrtkostenzuschüsse. Aber auch dadurch, dass die Praxisleitung die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fördert und ihnen etwa die Teilnahme an Fort- und Weiterbildungskursen ermöglicht, lassen sich die guten Kräfte halten.
Das individuelle Motivationsprogramm für die Praxis entwickeln
Auf der Suche nach sogenannten Best-Practice-Beispielen erfolgreicher Motivationsprogramme aus Arztpraxen oder Kliniken, lässt sich nur eines sagen: Es gibt nicht die eine Lösung. Jede Praxis oder Klinik hat ihre eigene Philosophie. Daher ist es wichtig, auf die Bedürfnisse des Teams einzugehen. Echtes Lob von der Chefin bzw. vom Chef ist nach wie vor die beste Motivation. Aber auch die Pflege einer konstruktiven und offenen Fehlerkultur am Arbeitsplatz kann ein Motivationsprogramm sein.
Zudem ist es wichtig, Arbeitsabläufe und Dokumentationen weitestgehend über digitale Investitionen zu optimieren. Das trägt zu einer besseren Organisation innerhalb der Praxis bei und zeigt den Angestellten, dass man ein Interesse daran hat, ihnen die Arbeit zu erleichtern. Eine hohe Mitarbeiterzufriedenheit wird aber auch durch eine kluge Aufgabenverteilung und durch mehr Selbstständigkeit der oder des Einzelnen im jeweiligen Aufgabenbereich erzielt. Gleichzeitig ist der Zusammenhalt im Team und die Anerkennung der Leistungen, auch durch Patientinnen und Patienten sowie die Öffentlichkeit, wichtig.
Monetäre Anreizsysteme für die erbrachten Leistungen können, wenn sie gerecht umgesetzt werden, ebenfalls motivierend wirken. Allerdings gilt hier eine gewisse Vorsicht: Eine Umsatzbeteiligung der Angestellten an privaten Zusatzleistungen ist problematisch, schließlich sind medizinische Fachangestellte sowie Ärztinnen und Ärzte keine Verkäuferinnen oder Verkäufer und sollten es auch nicht sein.
Flexible Arbeitszeitmodelle anbieten
Familienfreundlichkeit und flexible Arbeitszeitmodelle sind definitiv die Themen der Stunde. Gerade für junge Menschen ist heutzutage die sogenannte „Work-Life-Balance“ oftmals wichtiger als hohe Gehälter oder attraktive Karrierechancen. Auch die Möglichkeit zum Wiedereinstieg nach längerer Auszeit – z. B. zur Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen, zum Studium oder für ein Sabbatical – sowie die Verfügbarkeit von Kinderbetreuungsplätzen sind Aspekte, die viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreffen und immer wichtiger werden. In diesem Zusammenhang spielt auch das Angebot von Abendsprechstunden eine Rolle, nicht nur für die Belegschaft, auch für die berufstätigen Patientinnen und Patienten.
Regelmäßige Besprechungen im Team
Regelmäßige Teambesprechungen sind ein effektives Instrument, um die Kommunikation zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu fördern. Sie dienen der Information und Diskussion von Aspekten der täglichen Arbeit. Hier können aber auch Ziele der Praxis, Klinik oder Abteilung besprochen werden und es kann gemeinsam nach neuen Lösungen gesucht werden. Wenn alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auch Teilzeitbeschäftigte, auf diese Weise in die Arbeit in der Praxis oder Klinik einbezogen werden, ist das für sie eine wahrgenommene Form der Wertschätzung. Aus diesem Grund sind regelmäßig stattfindende Besprechungen im Team auch in der „Qualitätsmanagement-Richtlinie/QM-RL“ des Gemeinsamen Bundesausschusses als konkretes Instrument vorgeschrieben.
Zusammenfassender Appell an die Inhaberinnen und Inhaber von Arztpraxen
Im Wettbewerb um gut ausgebildetes, zuverlässiges und zufriedenes Personal sind individuelle und kreative Ideen gefragt, die auf das jeweilige Praxisteam zugeschnitten sind. Dies gilt gerade für kleinere Unternehmen, zu denen die meisten Arztpraxen zählen. Daher appelliert unter anderem der Verband medizinischer Fachberufe e. V. (vmf) an die Inhaberinnen und Inhaber von Arztpraxen: Zahlen Sie mindestens nach Tarif, und zwar nach jeweiliger Tätigkeitsgruppe und Qualifikation. Zeigen Sie Wertschätzung für den Beruf der medizinischen Fachangestellten, auch vor den Augen und Ohren der Patientinnen und Patienten. Stellen Sie ausreichend Zeit und qualifiziertes Fachpersonal für die Ausbildung zur Verfügung. Und fördern Sie die Weiterqualifizierung Ihres Personals. So nutzen Sie die Erfahrung und die Kompetenzen Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, um gemeinsam das Beste zu erreichen. Einige der, in diesem Text genannten Empfehlungen stammen aus einem, im Jahr 2019 geführten Interview mit Carmen Gandila, der ehemaligen Vizepräsidentin des Verbandes medizinischer Fachberufe e. V. (vmf) für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen.